Der Beitrag bietet eine Übersicht der gesetzgeberischen Entwicklungen im Bereich des Migrationsrechts im ersten Halbjahr 2023. Der Schwerpunkt liegt auf der Beseitigung der Inländer:innen-Diskriminierung beim Familiennachzug.
Familiennachzugsrecht für vorläufig aufgenommene Flüchtlinge trotz Sozialhilfebezug
Auch Flüchtlingen ohne Asyl kommt grundsätzlich ein Recht auf Familiennachzug zu, selbst wenn sie Sozialhilfe beziehen. Der EGMR verurteilt die Schweiz, weil das Bundesverwaltungsgericht in mehreren solchen Fällen eine ausgewogene Interessenabwägung unterlassen und so das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäss Art. 8 EMRK verletzt hat.
Betreuung einer Tochter im Ausland rechtfertigt das Zuwarten mit der Aufnahme des Ehelebens in der Schweiz nicht
Das Bundesgericht zeigt sich einmal mehr streng in Bezug auf verspätete Familiennachzugsgesuche. Eine Thailänderin, die mehr als fünf Jahre mit der Auswanderung in die Schweiz zu ihrem Ehemann wartete, erhält keine Aufenthaltsbewilligung mehr, selbst wenn sie das Zuwarten mit Betreuungspflichten in Thailand begründet.
Auch vorläufig Aufgenommene haben grundsätzlich das Recht, Konkubinatspartner nachzuziehen
Das Bundesverwaltungsgericht hatte einen Fall zu beurteilen, in welchen das SEM auf das Gesuch einer vorläufig Aufgenommenen um Familiennachzug des Konkubinatspartners nicht eintrat mit der Begründung, der Konkubinatspartner gehöre nicht zum begünstigten Personenkreis von Art. 85 Abs. 7 AIG.
Familiennachzug von Stiefkindern gestützt auf das FZA
Zur Erinnerung: Das AIG und das FZA unterscheiden sich bei den Bestimmungen des Familiennachzugs dahingehend, dass sich im Anwendungsbereich des FZA auch Stiefkinder eines EU/EFTA-Bürgers auf das FZA berufen können und der Aufenthaltsstatus der drittstaatsangehörigen Mutter nicht relevant ist.
Die finanziellen Voraussetzungen für den Familiennachzug
Ablehnungen von Gesuchen um Familiennachzug werden oft mit den fehlenden finanziellen Mitteln begründet. Wann kann auf verbindliche Nachweise dafür verzichtet werden, dass die nachzuziehende Person in der Schweiz eine Stelle antreten kann? Das Bundesgericht hat eine Vermutung aufgestellt, welche zu den kantonalen Behörden nur beschränkt durchdringt.
Kürzere Wartefrist beim Familiennachzug durch vorläufig Aufgenommene
Das Bundesverwaltungsgericht ändert seine Praxis zur dreijährigen Familiennachzugs-Wartefrist für vorläufig aufgenommene Personen. Neu können Ausländerinnen und Ausländer mit F-Ausweis ein Gesuch um Familiennachzug bereits kurz vor Ablauf von zwei Jahren seit der Anordnung der vorläufigen Aufnahme stellen. Das SEM hat ein solches Gesuch in Berücksichtigung sämtlicher Aspekte des Einzelfalles zu prüfen und gutzuheissen, sofern das Abwarten der gesetzlichen Dreijahresfrist das Recht auf Achtung des Familienlebens verletzen würde.