Schutz des Privatlebens nur bei rechtmässigem Aufenthalt
Schutz des Privatlebens nur bei rechtmässigem Aufenthalt
Schutz des Privatlebens nur bei rechtmässigem Aufenthalt
BGer 2C_821/2021, Urteil vom 1. November 2022
Der Beschwerdeführer, ein 27-jähriger Äthiopier, kam vor zehn Jahren im Alter von 17 Jahren als Asylsuchender in die Schweiz, wo er dem Kanton Graubünden zugewiesen wurde. Rund zweieinhalb Jahre später, nach der definitiven Ablehnung des Asylgesuches, reiste er nicht aus, sondern zog zu Bekannten im Kanton Thurgau, bestand die Matura und schloss an der ETH ein Bachelorstudium in Informatik ab. Sein Ersuchen um eine asylrechtliche Härtefallbewilligung (Art. 14 Abs. 2 AsylG) lehnte der Kanton Graubünden ab. Gegen diese Ablehnung bzw. gegen die mangels Parteistellung ergangenen Nichteintretensentscheide der kantonalen Rechtsmittelinstanzen zog er bis vor Bundesgericht mit dem Antrag, ihm sei "in Einklang mit Art. 8 EMRK eine Härtefallbewilligung" zu erteilen.
Das Bundesgericht hält zunächst fest, dass einem abgewiesenen Asylsuchenden, der eine asylrechtliche Härtefallbewilligung beantragt, nur im Zustimmungsverfahren beim SEM Parteistellung zukommt, nicht aber im Verfahren vor der kantonalen Migrationsbehörde. Der Beschwerdeführer verfüge somit über keinen auf Art. 14 Abs. 2 AsylG gestützten Bewilligungsanspruch (E. 1.2).
Sodann äussert sich das Bundesgericht zu einem allfälligen Bewilligungsanspruch direkt gestützt auf Art. 8 EMRK, wobei es sich auf BGE 144 I 266 bezieht: Gemäss dieser jüngeren Rechtsprechung zur Achtung des Privatlebens kann nach einer rechtmässigen Aufenthaltsdauer von rund zehn Jahren regelmässig davon ausgegangen werden, dass die sozialen Beziehungen hier so eng geworden sind, dass es für die Aufenthaltsbeendigung besonderer Gründe bedarf; auch bei einer bewilligten Aufenthaltsdauer von weniger als zehn Jahren kann bei einer besonders ausgeprägten Integration der Anspruch auf Achtung des Privatlebens verletzt sein, wenn eine Bewilligung nicht erneuert wird (E. 2.1.2).
Diese Rechtsprechung von BGE 144 I 266 gilt für "Fallkonstellationen, in denen es um die Beendigung bzw. Nichtverlängerung eines Aufenthaltsrechts geht, nicht aber – wie hier – um dessen erstmalige Begründung nach einem (illegalen) Aufenthalt oder um eine weitere Anwesenheit, nachdem diese durch die Behörden rechtskräftig beendet worden ist" (E. 2.1.2). Das Bundesgericht verweist in dieser Erwägung insbesondere auf das Urteil 2C_528/2021 vom 23. Juni 2022 (zur Publikation vorgesehen). In diesem früheren Urteil hatte das Bundesgericht dem Beschwerdeführer, einem Somalier mit Härtefallbewilligung, die Anrufung von Art. 8 EMRK verweigert, da seine Bewilligung infolge eines Auslandaufenthaltes erloschen war.
Vorliegend hat sich der Beschwerdeführer, abgesehen von seiner Anwesenheit während des Asylverfahrens, nie rechtmässig in der Schweiz aufgehalten. Er kann keine Rechte daraus ableiten, dass er sich nicht an die hiesige Rechtsordnung und an den rechtskräftigen Asyl- und Wegweisungsentscheid gehalten hat. Er befindet sich unbewilligt und rechtswidrig in der Schweiz (E. 2.1.4). Unter diesen Umständen kann er sich nicht auf seine inzwischen hier eingetretene wirtschaftliche und soziale Integration berufen. Anders zu entscheiden hiesse, jene Personen, die sich über rechtskräftige Wegweisungen hinwegsetzen, gegenüber denjenigen zu bevorzugen, die sich an die behördlichen Vorgaben halten (E. 2.1.5).
Abschliessend betont das Bundesgericht nochmals, dass dem Beschwerdeführer keine Parteistellung zukommt. Die gesetzliche Regelung in Art. 14 Abs. 4 AsylG ist zwar mit der Rechtsweggarantie von Art. 29a BV unvereinbar, muss aber gestützt auf Art. 190 BV angewendet werden (E. 2.3.1). Art. 14 Abs. 4 AsylG gilt deshalb grundsätzlich in der bisherigen Form und Auslegung weiter, was nicht befriedigt. Es ist nicht auszuschliessen, dass eine spezifische ausländerrechtliche Situation im Anwendungsbereich von Art. 14 AsylG – anders als hier – tatsächlich unter die Garantien von Art. 8 Ziff. 1 EMRK fallen und nach einer Interessenabwägung im Rahnen von dessen Ziffer 2 rufen könnte (E. 2.3.2).