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Ungenügende Weiterleitung einer Verfügung durch die Beiständin als Fristwiederherstellungsgrund

Ungenügende Weiterleitung einer Verfügung durch die Beiständin als Fristwiederherstellungsgrund

Rechtsprechung
Verfahrensrecht

Ungenügende Weiterleitung einer Verfügung durch die Beiständin als Fristwiederherstellungsgrund

BGer 2C_1011/2021, Urteil vom 31. Oktober 2022

Das Staatssekretariat für Migration (SEM) verweigerte die Zustimmung zur Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung eines albanischen Staatsangehörigen (Beschwerdeführer) und wies diesen aus der Schweiz weg. Die Verfügung stellte das SEM der Beiständin des Beschwerdeführers zu, wobei die Begleit- und Vertretungsbeistandschaft in diesem Zeitpunkt bereits beendet war. Die ehemalige Beiständin übergab dem Beschwerdeführer die Verfügung nicht separat, sondern als Teil des Gesamtdossiers (im Aktenverzeichnis unter der Rubrik "Diverses" angeführt), und wies ihn nicht auf die notwendige rechtzeitige Behandlung hin. Der Beschwerdeführer nahm die Verfügung erst später durch ein Schreiben des kantonalen Migrationsamtes zur Kenntnis, das ihn mit Hinweis auf die rechtskräftig gewordene Wegweisungsverfügung des SEM aufforderte, die Schweiz zu verlassen. Er gelangte daraufhin, unterdessen anwaltlich vertreten, ans SEM und ersuchte um Wiederherstellung der Beschwerdefrist sowie um Erteilung der Zustimmung zur Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung. Das SEM überwies die Eingabe ans Bundesverwaltungsgericht, das die Fristwiederherstellung ablehnte mit der Begründung, bei Aufwendung der gehörigen Sorgfalt wäre des dem Beschwerdeführer möglich gewesen, die ihm von der Beiständin übergebenen Akten genau zu sichten, deren Tragweite zu erfassen und zeitnah eine Rechtsvertretung zu mandatieren.

Das Bundesgericht sieht dies anders und hält fest, dass die Zustellung der Verfügung an die Beiständin nicht korrekt gewesen war. Die Beistandschaft hätte im Zustellungszeitpunkt nicht mehr bestanden (E. 4.6). Bereits aus diesem Grund wäre es angezeigt gewesen, dass die ehemalige Beiständin den Beschwerdeführer ausdrücklich auf die Verfügung und das Risiko einer möglicherweise ausgelösten Rechtsmittelfrist aufmerksam gemacht hätte. Dies gelte umso mehr, als die Verfügung die Wegweisung des Beschwerdeführers angeordnet habe und für ihn somit existentielle Bedeutung hatte. Es mangelte jedoch nicht nur an einer ausdrücklichen und konkreten Information, sondern die Verfügung war im Dossierverzeichnis schlicht falsch, nämlich als blosses Schreiben aufgeführt, obwohl diesbezüglich eine Rubrik "Verfügungen" vorhanden gewesen wäre. Insgesamt wurde der Beschwerdeführer dadurch irregeführt und konnte nicht erkennen, dass eine an ihn adressierte, belastende Verfügung vorlag und sofortiges Handeln geboten war. Demzufolge lag seitens des Beschwerdeführers nicht eine blosse Unachtsamkeit vor. Vielmehr hat es die völlig ungenügende Aktenübergabe dem Beschwerdeführer subjektiv und von seiner Seite her unverschuldet verunmöglicht, umgehend zu handeln. Demnach sind die materiellen Voraussetzungen für eine Fristwiederherstellung erfüllt (E. 4.7).

iusNet MigR 18.01.2023